Vollmondnächte

Verfasst am: 1. Juli 2002 von Barbara 1 Kommentar

27.6.2002

Lieber Claudio,

du fragst, warum die Portoenser sich am Johannistag mit Spielzeug-Hämmern aus Plastik und Schaumgummi bewaffnen und gegenseitig neckisch auf den Kopf hauen. Diesen Brauch kann heute so recht keiner mehr erklären, vielleicht ist es auf die harte Gerichtspredigt Johannes’ des Täufers zurückzuführen, denn die war damals echt "der Hammer". Vielleicht erinnert man sich dabei auch an seine Worte: "Es ist schon die Axt an die Wurzel gelegt…", aber weshalb schlägt man dann dem andern auf den Kopf ?

Am Mittwochabend übten wir wieder mit allen Kirchenchören der Umgebung in Santo António für den Diözesan-Sonntag. Was heißt "abend" – die Probe ist in der Nacht von 22 bis 24 Uhr. Ich bin so gerne dabei, nicht nur wegen des Blumenmeers, das da immer am Altar ausgebreitet liegt (gelbe und weiße Gerbera, Rosen und Nelken), sondern weil die eigentümlich schwermütigen Lieder mit ihrer so typisch portugiesischen Melodie sehr schön klingen, wenn sie vierstimmig in der großen nächtlichen Kirche gesungen werden.

Früher haben wir immer noch Stimmbildung gemacht und am Schluß ein Nachtgebet gesprochen, in dem sämtliche Heiligen angerufen werden. Warum das jetzt unterbleibt, weiß ich nicht, – wahrscheinlich schreitet auch hier die Säkularisierung voran. (Ich rede schon wie die anderen Frauen von "früher"!) Aber den Bauersfrauen, die schon müde und abgeschafft nach dem Füttern, Melken, Essen in die Kirche kamen, gefielen die Atemübungen und die Stimmbildung nicht. Sie sangen ohne dieses Programm genauso innig.

Neben dem Organisten wartete ein zartes 5jähriges Mädchen und erhob sich jedesmal und sang mit dem Chor mit. Ein Kleinkind im Kinderwagen krähte ebenfalls mit, jauchzte und schrie, und wir konnten die Kleine nur mit Mühe übertönen. Aber das schien keinen zu stören, am wenigsten die Mutter, die sich absolut nicht aufgefordert fühlte, ihren Schreihals zu beschwichtigen. Der Chorleiter schaute überhaupt nicht hin, und die Sänger nahmen ebenso wenig Notiz. Keiner guckte bös oder schnaubte drohend.

Wir übten einen neuen vierstimmigen Choral "Eu quero ser, Senhor amado" – "Ich möchte, geliebter Herr, der Ton in deiner Töpferhand sein und zu einem Gefäß geformt werden". Ich fragte mich, was an diesem Lied eigentlich katholisch sein soll…

Der Dirigent gab einem schönen Jüngling die Agenda in die Hand und bat ihn zu psalmodieren, und dieser Adonis stellte sich ganz selbstbewußt und uneitel vorne hin und sang sicher und mit schöner warmer Stimme den Psalm, den wir dann wiederholten. Später, als wir die Kirche verließen, sah ich, wie ein ganzer Mädchenschwarm den edlen Sängerknaben umgab. Die jungen Leute singen und vermischen ihre Jesusliebe und ihre romantischen Gefühle, wie das in solcher Sommernacht gar nicht anders geht. Sie singen "Ich liebe dich, keiner ist wie du, anbetend neigt sich mein Herz dir zu" , und sie wissen vielleicht selbst nicht, wen sie eigentlich damit meinen. Aber dadurch entsteht so eine andächtige, wie soll ich sagen? – innige Stimmung, die gar nicht umschlagen kann, weil da ein Kleinkind schreit und die alten Leute so konzentriert sind. (Die meisten können gar keine Noten, vielleicht nicht einmal den Text lesen.)

Auf der Heimfahrt saß Herr Pompilio, unser treuer Sangesbruder, in unserem Auto und kämpfte mit dem Schlaf. Wir fuhren durch das Tal der übel und fruchtbar nach Sumpf und Schlamm riechenden Ria, die schwarz im Mondlicht atmete.

"Es ist noch fast Vollmond, seht mal. Abnehmender Mond", sagte ich.

"Da muss man die Zwiebeln ernten", murmelte er.

"Den Knoblauch auch schon?" fragte ich, denn wir haben in diesem Jahr viel Knoblauch im Garten.

Er sagte wie im Schlaf: "Weiß nicht, hab keinen Knoblauch, muss die Zwiebeln ernten, abnehmender Mond, jaja."

So verhalten sich also ältere Männer bei Vollmond.

Gute Nacht.

Trotzdem konnte ich diesmal einen Johannistermin einhalten, ich konnte endlich den köstlichen Nusswein oder Nusslikör ansetzen, für den ich das Rezept von Michelle und Daniel aus Pont-de-Beauvoisin (Isère et Savoie) habe. Nur fehlte mir immer die Grundvoraussetzung dafür, nämlich 90 Walnüsse, die am Johannistag geerntet werden müssen.

Aber in diesem Jahr saß ich fast pünktlich unter einem schönen Nussbaum bei Ellen und schwärmte, da mir bei dem herben Wohlgeruch plötzlich das Rezept wieder einfiel, von jenem Tropfen. Worauf Ellen beschloss, Johannes den Täufer etwas vorzuverlegen und die Nüsse sofort zu ernten. Sie stieg auch gleich in den Baum und pflückte – es waren hinterher tatsächlich etwas mehr als – 90 junge grüne Nüsse.

Wir besorgten uns von António diese alten Glasballons (er schenkte uns 4), riesige grüne Korbflaschen für 15 bis 20 Liter, reinigten sie, und ich konnte den köstlichen Trank zubereiten.

Ich schreibe dir jetzt das Rezept auf:

90 Walnüsse, am 24.6. geerntet, mit der Schale vierteln

3 Liter Rotwein

2 Liter Weißwein

1 Liter Schnaps (agua ardente, eaux de vie)

1 1/2 kg braunen Rohrzucker

3 Monate stehen lassen, öfter umrühren. filtern und abfüllen

(ergibt 6 Liter Nusswein)

Endlich kam mein langgehüteter portugiesischer Tresterschnaps zum Einsatz. Ich habe doch "ohn all mein Verdienst und Würdigkeit" einmal eine Flasche agua ardente von Herrn Zé Rocha geschenkt bekommen. Sowas kann einem in diesem zauberhaften Dorf mit eigner Schnapsbrennerei nämlich passieren.

Also, bis Ende September/ Anfang Oktober.

Eine Antwort

  1. Heike Zoch schreibt:

    Liebe Frau Seuffer.
    Von Katharina habe ich Ihre Mailadresse.
    Eigentlich wollte ich ja nur etwas schrecklich Triviales fragen. Aber zu erst muß ich Ihnen doch auch noch eine dörfliche Vollmondgeschichte erzählen:
    Letztes Jahr stand doch der große Christopherus, anläßlich der Bibelwoche in Melz im Zelt. Der Rücktransport war ja schwierig. Mein Vater hat sich dann bereit erklärt ihn wieder in die Wredenhagener Kirche zu transportieren.Mit dem Anhänger, liegend. So kam es dann also, daß wir, mein Vater, meine Mutter, mein Calvin und ich uns auf den Weg machten. Natürlich haben wir dann auch noch eine Abzweigung verpaßt, so daß der Cristopherus noch zu einer vollmondnächtlichen Landpartie kam. Am Besten war ja dann die  Aktion den riesen Papiermascheekerl den Hügel vor der Kirche hochzubekommen… Mein Vater hat ihn "hoch laufen" lassen. Gut, daß es tiefste Nacht war und die Mecklenburger mit den Hühnern ins Bett gehen… In Ihrem Dorf wäre das garantiert eine lustige Abendveranstaltung gewesen. Zu guter letzt sollte ich dann den Pfarrhaus- und Kirchenschlüssel beim Nachbarn gegenüber abgeben, damit Katharina später wieder ins Haus konnte. Dazu sollte ich an ein bestimmtes Fenster klopfen. Da öffnete keiner. Erst nach einer etwas verzweifelten Aktion im Innenhof des Nachbarn erschien der selbe im Unterhemd und Jogginghose. "He was not amused…" Ich war sehr errleichtert, das die ganze Aktion nun endlich erfolgreich abgeschlossen war. Auf dem Weg von Wredenhagen nach Bollewick schien uns der Mond Heim. Im Autoradio lief das Lied "La Luna", gesungen von einer großen Sopranistin. I Wie nah doch das Triviale, manchmal Slapstickhafte und erhabene Schönheit beeinander liegen.Für die Frage fehlt der Platz. Heike

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