Die Novene
Nach meiner Entlassung aus dem Lissaboner Krankenhaus begrüßten mich die Dorfbewohner mit vielen beijinhos und Tränen der Rührung und der Freude. Arcelina kochte eine prächtige traditionelle Hühnersuppe, eine canja, Julia backte Windbeutel und Krapfen, und dann luden sie mich zur „novena“ ein: „Also am Sonntag um drei Uhr! Du kommst doch?“
„Ja, ich werde gerne kommen, aber was ist eine novena? Bitte, Arcelina, erklär mir doch einmal, was eine novena ist?“
Sie lachte verlegen, denn sie redet nicht viel – sie tut lieber etwas. „Du weißt nicht, was eine novena ist? Dann komme am Sonntag und dann weißt du es.“
Wir suchten im portugiesischen Lexikon und lasen, dass novena mit der Zahl neun zusammen hängt und z.B. eine Vorstellung von neun Sachen ist (Sachen oder coisas, das ist sicher etwas zum Essen? Hier im Dorf dreht sich fast alles ums Essen.)
Am Sonntag um drei Uhr gingen wir zur novena. Aber nicht ins Haus zur Gastgeberin Arcelina, sondern in die Kapelle, die zu Ehren der Nossa Senhora de Fatima im Mai besonders schön geschmückt ist. Dort hatten sich 20 Frauen versammelt, Katharina spielte auf ihrer Veehharfe zum Eingang das Fatimalied, das alle mitsangen. Und dann begann Cidalia als Vorbeterin kräftig und textsicher mit der Gebetslitanei: 9 mal das Gloria, 9 mal das Vaterunser, 9 mal das Ave Maria und die Anrufung der Heiligen. Die Frauen murmelten alle mit bis zum Schlusssegen. Dann sangen sie das Fatimalied auswendig (es hat 16 Strophen!).
Draußen vor der Tür lud Arcelina anschließend zum traditionellen Tremoçosessen (tremoços sind eingelegte Lupinenkerne) ein. Dona Natalia erklärte mir, warum man diese Andacht oder diesen Dankgottesdienst novena nennt: 9 Tage nach einer Gebetserhörung oder auch nach einem Sterbefall hält man solche Andachten. 9 Frauen oder mehr beten neunmal die Gebete.
Dona Ester, die aus dem Nachbarort zu Besuch gekommen war, fragte: „Für wen habt ihr die novena gefeiert?“
Sie sagten: „Für Barbara.“
„Für mich? Ihr wisst doch, dass ich evangelisch und die Frau vom evangelischen Pastor bin, wirklich für mich?“ Ich war gerührt.
Cidalia erklärte: „Ja, für dich. Wir haben immer für dich gebetet. Ich habe immer nur Barbara gesagt. Deinen anderen Namen weiß ich gar nicht. Aber es gibt hier ja nur eine Barbara. Und die Nossa Senhora weiß sowieso, wen ich meine.“
Fröhlich schmausend und schwatzend saßen wir noch eine Stunde beisammen auf dem überdachten Hinterhof zwischen 2 BMWs, bellenden Hunden, kreischenden Papageien und munteren Singvögeln, die in ihrer großen Voliere turnten, und erzählten uns ganz frohmachende positive Dinge, knabberten Kekse, kauten Tremoços, tranken Wasser. Keine Senhora jammerte über Krankheiten und Altersbeschwerden.
Ich dachte daran, wie die Ärzte und Krankenschwestern im Lissaboner Krankenhaus immer wieder ihr Erstaunen ausgedrückt hatten, dass ich so Heimweh nach meinem kleinen Dorf hatte. Wenn sie dieses ganz besondere Dorf mit seinen starken Frauen und Beterinnen kennen würden, wenn sie die Hühnerbrühe von Arcelina essen und die Liebe spüren könnten, würden sie das nie mehr fragen.
Tenho saudades também!