Essen
Die Verpflegung im Lissabonner Krankenhaus war ernährungs-wissenschaftlich betrachtet vorbildlich. Nach meinen Erfahrungen in deutschen Krankenhäusern fand ich das Essen ausgesprochen reichhaltig, gesund und ausgewogen. Aber es war einfach zu viel und für mich völlig ungewohnt.
Nach einigen Tagen wurde die Diätköchin zu mir geschickt, weil aufgefallen war, dass ich zu wenig aß. Ich hatte Mühe, ihr zu erklären, dass das Essen hundertprozentig gut und gesund ist, aber nicht meinem Lebensmotto entspricht, dass nämlich das Karge, Einfache wie Pellkartoffeln und Quark glücklich macht. Es entspricht ebenfalls nicht der deutschen Küchenweisheit: „Frühstücken wie ein Kaiser, Mittagessen wie ein Fürst, Abendessen wie ein Bettelmann.“
Das Frühstück im Lissabonner Hospital besteht aus einem Milchkaffee und einem weichen Butterbrötchen und kommt irgendwann im Laufe des Vormittags auf einem Teewagen vorbei.
Das Mittagessen ist ein großartiges 3-Gänge-Menü mit einer Vorsuppe, meistens einer Gemüsesuppe, wozu immer ein Brötchen gehört, danach kommt das Hauptgericht aus Kartoffeln, Gemüse und gedünstetem Fisch oder hin und wieder Geflügel, als Nachspeise gibt es Obst oder Joghurt.
Am Nachmittag kommt wieder der Teewagen vorbei. Und wenn man die Augen schließt und weiß, dass man jetzt in Lissabon ist, schmeckt der Milchkaffee wie der geliebte galão.
Besonders das opulente Abendessen in Portugal ist für Deutsche ungewohnt, denn das deutsche sogenannte Abendbrot ist äußerst karg, pedantisch und liebevoll, wie Thea Dorn in ihrem Buch „Die deutsche Seele“ schreibt:
„Seine Zubereitung erfordert keinen großen Aufwand, aber die wenigen Zutaten müssen mit Bedacht gewählt sein: Roggen-, Roggenmisch- oder Vollkornbrot, zu acht Millimeter dicken Scheiben geschnitten. Ein bisschen Butter, Käse (Tilsiter), Schinken (Schwarzwälder), Wurst (Jagdwurst). Und schön wäre eine saure Gurke, zum Ende hin blättrig aufgefächert. Die Brote werden mit der Butter dünn bestrichen, auf eins wird der Käse gelegt, auf eins der Schinken, auf eins die Wurst.“
Dazu wird dünner Hagebuttentee gereicht, eine meiner Töchter nennt ihn „Christenverfolgungstee“, weil solcher Tee üblicherweise zu jeder Gemeinde- und Jugendfreizeit ausgeschenkt wird.
Diese Abendbrotverköstigung ist in deutschen Krankenhäusern und Jugendherbergen bis heute angesagt. Sie war in Deutschland in den erlesensten Zirkeln und in den literarischen Salons üblich, in den Teesalons mit Goethe, Kleist und den Brentanos, mit Rahel Varnhagen und Hegel… „Geiz spielte bei dieser Sitte die unwesentlichste Rolle. Man wollte sich bewusst absetzen von den Abendschlemmereien in katholischen Ländern wie Frankreich.“
Ob nach diesem Vortrag über die deutsche Seele und über deutsche Essgewohnheiten die Diätköchin oder Ökothrophologin Verständnis oder Einsicht gewonnen hatte, konnte ich nicht feststellen: Das Tablett mit den übervollen Tellern eiweißhaltiger und ballaststoffreicher Mittags- und Abendnahrung erschien weiterhin an meinem Bett.
Kurz vor dem Einschlafen kam noch einmal ein guter Geist vorbei und brachte uns einen Schlummertrunk: dünnen Tee und einen Keks zum Knabbern. Da konnte ich dann zur halben Nacht meine Teesalon-gedanken, -gespräche und –gedichte für mich alleine genießen.
Also, ich liebe das portugiesische Essen von Caldo verde bis Leitao, ich mag es sehr. Aber ich habe in all den Wochen immer nur an Arcelinas Hühnerbrühe gedacht, die sie einmal durch ihren Paulo meinem schwerkranken Mann schicken ließ. Er genas zur selben Stunde.
Von dieser Hühnerbrühe träumte ich.