Bethlehem
Wir waren spontan nach Lissabon-Belém zum Krebsinstitut Fundaçao Champalimaud – Stiftung Champalimaud gefahren, um Rat und Hilfe zu suchen. Die vierte Therapie im Kampf gegen meinen Krebs hatte nicht angeschlagen, und die Ärzte in Deutschland hatten mich nach 5 Monaten entlassen: „Mehr können wir nicht tun, kommen Sie alle Vierteljahre zur Kontrolle.“
„Na, gut“, sagte die Leidensgefährtin neben mir, „bei mir hat die Chemotherapie auch nicht geholfen. Ich gehe jetzt nach Hause und bereite mich aufs Sterben vor, wir sind doch alt genug.“
Ja, nach Hause gehen, das wäre gut. Aber mein Zuhause ist Nordportugal. Dahin würde ich jetzt gehen, um Abschied zu nehmen: Noch einmal den Atlantik sehen und mit dem Kirchenchor Halleluja singen wie im April 1988, als ich nach der Brustkrebs-Erkrankung und Genesung mit der Kantorei die Matthäuspassion in Porto sang. Das sollte damals ein Abschied werden und wurde ein Neuanfang.
Ach, damals, vor 28 Jahren… Da war Portugal noch ein armes weithin unbekanntes Land, terra incognita. Inzwischen hatte der reiche portugiesische Geschäftsmann Champalimaud in Lissabon dieses hochmoderne Krebsforschungsinstitut gestiftet, wo man Heilmethoden mit dem europaweit besten Linearbeschleuniger praktiziert. Ein Zeitungsartikel über die Eröffnung im Jahr 2011 fiel mir in die Hände und ich murmelte resignierend: „Da müsste man mal hin, vielleicht wissen die mehr.“ Aber mein Mann sagte daraufhin entschlossen: „Da fahren wir morgen hin.“
“Ohne Termin, ohne Überweisung, ohne Arztbrief, ohne Ortskenntnisse, ohne Befunde außer einer CD-Kopie von der letzten Untersuchung?”
“Na klar. Lasset uns gehen nach Bethlehem und die Geschichte sehen…”
Welch eine wunderbare Fügung, dass wir schließlich vor einem Onkologen saßen, der zwar nicht deutsch sprach, aber mein Anliegen verstand und in portugiesischem “Medizinerlatein” sachkundig die Bilder auf der CD kommentierte. „Sehen Sie, hier sitzen die Tumoren in den Ganglien. Da und da und da und da. Kein Organ ist betroffen. Das ist sehr gut, und mit dem richtigen Medikament werden wir die Tumoren minimieren, und dann können wir bestrahlen …“
Und ich hörte in dieser fremden Sprache: „ Fürchtet euch nicht, siehe, ich verkündige euch große Freude … der Heiland ist geboren…“ Ich lauschte wie die Hirten damals auf den Feldern der Botschaft der Engel und verstand alles und verstand gar nichts. Doch, so viel: Ich müsste nicht sterben!
Und ich schöpfte Hoffnung und griff nach dem Strohhalm in der Krippe von Bethlehem und lief los.