ANSPRECHPARTNER
„Olá, Dona Bárbara“ und „Dona Maria de Luz, bitte, kommen Sie“ und gleich darauf „Senhor António, vamos!“, ruft die Sprechstundenhilfe von Dr. Vitor.
Hier werden alle mit dem Vornamen angeredet. Das schafft eine sehr familiäre freundliche Atmosphäre. Selbst die Ärzte nennen sich nur Dr. Manuel oder Dra. Isabel. Am Anfang hat es mich immer überrascht, wie herzlich ich in Wartezimmern und Kliniken begrüßt und verabschiedet wurde. In unserem Dorf und in der Dorfkirche gibt es ja traditionell immer viele Umarmungen und Küsschen. Aber als mich nach der Behandlung meines kranken Fußes sogar der Podologe geküsst hat, dachte ich: Das glaubt mir doch mal wieder kein Mensch… Inzwischen habe ich mich daran gewöhnt, denn ich spüre die Herzlichkeit und Aufrichtigkeit dabei. Wenn mich einer fragt: „Dona Bárbara, wie geht es Ihnen?“, erwartet er tatsächlich auch eine Antwort – aus echtem Interesse.
Ich beobachtete, dass ältere verwirrte Patienten durch die vertraute Anrede mit ihrem Vornamen sich so angesprochen fühlten, wie sie es aus ihrer Kindheit kannten. Dann konnten sie darauf gut antworten und Auskunft geben. Sie spürten, der andere weiß, was mir fehlt.
Als ich in Portugal den ersten Termin für die Untersuchung per Email bekam, stand da unter der Mitteilung tatsächlich „Beijinhos, Artur“ – was so viel wie „Liebe Grüße, Artur“ heißt. Dabei ist der Arzt Dr. Artur eine Koryphäe, eine Autorität.
Nach dieser freundlichen Email verlor ich alle Angst und Besorgnis.
Ich erinnere mich oft daran, wie ich mich nach einem Schulwechsel meinem neuen Klassenlehrer zum ersten Mal vorstellte: „Guten Tag, Herr Möller, ich bin Ihre neue Schülerin.“ Da machte er mich gnadenlos zur Schnecke, weil ich seinen Doktortitel vergessen hatte. Seitdem weiß ich, dass wirkliche Größe und menschliche Würde wahrlich nicht in Titeln sichtbar wird, und „Beijinhos, Artur“ hat meinen ganzen Respekt und meine ganze Zuneigung.
Einer der Ärzte begrüßt jede seiner Krebspatientinnen mit einem fröhlichen „Guten Tag, meine Schöne!“ und erntet viel Heiterkeit und amüsiertes Staunen. Es ist wirklich wohltuend, solche lieb gemeinten Anreden zu hören.
Ein anderer sagt bei seiner Ansprache: „Alles Gute, querida“, was so viel bedeutet wie „meine Liebe“ oder noch besser „Liebes“ oder „Schätzchen“, allerdings klingt das freundlicher als bei Marcel Reich-Ranicki in seinem literarischen Streitgespräch mit weiblichen Kritikerinnen: „Sie haben keinesfalls RRRRecht, meine Liebe!“ Ich finde diese Anrede schön. Unser großer portugiesischer Hirtenhund aus der Serra de Estrela hieß Querida und wir stifteten viel Freude und Verwirrung unter den jüngeren Dorfschönheiten, wenn wir ihn im Dorf suchten und laut „Querida- Schätzchen-Liebling“ riefen
Dennoch beeilte sich eine ältere Krankenschwester, mich nach der Visite aufzuklären, dass dieser Arzt immer und zu allen „querida“ sage. (Damit ich mir nur keine Schwachheiten einbilde! Hihi.)