Als vor 500 Jahren die portugiesischen Seefahrer an der Atlantikküste landeten, "entdeckten" sie eine große Meeresbucht, die durch vorgelagerte Inseln geschützt wird. Das war am 1. November, dem Allerheiligenfest. Deswegen nannten sie diese Bai, diese Bucht die "Allerheiligenbucht", auf portugiesisch: "Baía de Todos os Santos".
Die am 29. März 1549 gegründete Stadt Bahia, heute Salvador, war bis 1763 die Hauptstadt des ganzen Landes Brasilien.
Das erklärte uns Gretel Rapp bei der Stadtbesichtigung am Fronleichnamstag 2003, einem außergewöhnlich verregneten "Wintertag". Eigentlich wollten wir uns die Fronleichnamsprozessionen und herrlich geschmückten Kirchen und Straßen mit den Blumenteppichen ansehen, aber wegen des Nebels und Dauerregens fand kein Umzug statt, alle Messen waren in die Kirchen verlegt worden, und die Straßen waren wie leergewaschen. Wo sonst Tausende von Touristen versammelt sind, war gähnende Leere, und auf einmal konnten wir uns alle diese geschichtlichen Ereignisse vor 500 Jahren so gut vorstellen.
Die Portugiesen, wie wir aus ihrem verregneten Nordportugal und vom rauhen Atlantik kommend, müssen geglaubt haben, das Paradies gefunden zu haben. Uns jedenfalls kam die einmalig günstige Lage dieses natürlichen Hafens und der Stadt, die aus der Unterstadt und einer festungsmäßigen Oberstadt besteht (beide durch den berühmten Aufzug Lacerda verbunden – die Fahrkarte kostet 1 Pfennig oder noch weniger -, so vor. Wir fuhren durch das verregnete Hafenviertel, wir fuhren an dem großen kaum belebten Markt Mercado São Joaquim vorbei, wo Berge von Gemüse und Obst angeliefert werden und wo man wegen des Menschengewimmels sonst kaum vorankommt, durch enge Gassen zu Aussichtspunkten, wo man die herrliche Baía überblicken konnte, an 365 Kirchen vorbei und zu einigen der mehr als 80 Forts und konnten nur noch "Oh" und "Ah" sagen. Vor allem berührte uns ganz eigenartig immer wieder neu diese seltsame verregnete menschenleere Riesenstadt, die doch eigentlich von quirligem Leben völlig aus den Fugen geraten ist.
Ich habe später viele Beschreibungen und Reiseberichte über Salvador gelesen, Stefan Zweig scheint mir am meisten begeistert zu sein, er schreibt seitenlang über die "pittoresken" Eindrücke, die bezaubernden Baianerinnen, die rauschhafte Zeremonie der "Lavagem do Bonfim" – die Putzzeremonie auf den Freitreppen der Wallfahrtskirche des "Senhors do Bonfim" (woher mein Freundschaftsband stammt, wohlgemerkt) – er ist völlig hingerissen von der afro-brasilianischen Mentalität, Schönheit und Lebendigkeit der Stadt und ihrer Bewohner, ist selbst in einen Rausch geraten…
Ja, alles, was ich gelesen habe, stimmt wirklich mit unseren Erlebnissen überein. Dennoch haben wir etwas ganz Besonderes gesehen, nämlich die "Bucht Allerheiligen" ohne Sonne, ohne Menschenmengen, ohne Farben, ohne Düfte –
wie aus dem Urnebel vergangener Zeiten heraufsteigend,
wie in einem Traum,
wie in einer Verzauberung.