15. Dichterlesung

Verfasst am: 4. August 2003 von Barbara Keine Kommentare

Jeder dieser heißen Wintertage in Rio voller Entdeckungen und Abenteuer, mit Busfahrten, Taxifahrten, Bergbahnfahrten (den Corcovado hinauf), voller Begegnungen und Beobachtungen war gekrönt mit kulturellen Events, zu denen auch die Autorenlesungen gehörten. Autorenlesungen mit Barbara als illustrem Gast, um es deutlich zu sagen.

Diese literarischen Abende waren für mich allerdings von Anfang an überschattet von João Ubaldo Ribeiros satirischen Bemerkungen über "Dichterlesungen". Ich war gewissermaßen sensibilisiert und auf der Hut, wusste ich doch nun, was "man" als Deutscher in Brasilien oder als Carioca unter Deutschen so über Literaten und Autoren, kurzum, über die schreibende Zunft denkt. Hätte ich doch bloß nicht seine Kolumnen aus der Frankfurter Rundschau gelesen, die er dort verwundert-spottlustig (der Verlag nennt sie "liebevoll-ironisch") als Stipendiat des DAAD niederschrieb und die heute in dem Taschenbuch "Ein Brasilianer in Berlin" nachzulesen sind.
Da gibt er u.a. seinem Staunen darüber Ausdruck, dass "die Deutschen aus freien Stücken zu öffentlichen Lesungen gehen", statt "etwas Vernünftiges" zu tun (z. B. Drinks einzunehmen oder Platten zu hören). "Für einen Brasilianer ist das unvorstellbar, es sei denn, man wird mit vorgehaltenem Maschinengewehr dazu angeregt. In meinen Augen sind die Besucher solcher Lesungen Teil eines Komplotts. Der DAAD muss ein besonderes System haben, um Zuschauer zu rekrutieren, damit der Literat sich wichtig und beliebt vorkommt; und außerdem verfügt dieser dann, wie vorteilhaft, über ein Auditorium, in dem er seine Dummheiten von sich geben kann, so dass er sie nicht in den Büroräumen des DAAD ausspricht", schreibt Ribeiro.

Nachdem ich mich aber gleich bei der ersten gesellschaftlich-literarischen Soiree (ich war schließlich kein DAAD-Dichter oder – Denker) versichern konnte, dass man sowohl Drinks zu sich nehmen und CDs hören, als auch sich köstlich amüsieren und gleichzeitig den güldenen Dichterworten lauschen kann, fand ich wieder Mut, aus meinen 29 veröffentlichten Büchern etwas Unpassendes vorzulesen und meine "Dummheiten" vor erlauchtem Publikum von mir zu geben. Außerdem wusste ich genau, dass "unser netter Konsul" die Besucher nicht mit vorgehaltener Pistole, sondern mit seinem entwaffnenden Charme herbeigebeten hatte.

Die Drinks waren an diesen Abenden ein absoluter (und zwar gleich zu Beginn der erste große) Erfolg, und ich kann nur jedem raten, keine der künftigen Dichterlesungen in diesem Hause auszulassen, wenn Herr Gerson dort seine köstlichen Caipirinhas serviert. Das Rezept habe ich erlauscht, erfragt, erbeten und veröffentliche es hier (ohne Gewehr!!… Scherz.)

Caipirinha
1/6 Cachaça Brasil (PIRASSUNUNGA 51)
       Eiswürfel
       Wasser (Zitronensaft nach Belieben dazugeben)
½    kleingeschnittene Limette pro Glas
       brauner Rohrzucker nach Belieben
       ++++
im Mixbecher schütteln

Da saßen dann die liebenswürdigsten Gäste auf den 3 antiken Sofas und den hübschen antiken Stühlen und hielten anmutig ihren Drink in den Händen, plauderten angeregt, im Hintergrund etwas Musik, genossen die Stimmung, das Ambiente, das Getränk (sofern es sich nicht um Frankforter Äbbelwoi handelte) und den schönen Abend und gaben mir Gelegenheit, darüber nachzudenken, wie wenig Anlass zum Staunen meine Beobachtungen über Land und Leute in Portugal in diesem Land Brasilien geben.

"Der Portugiese ist der beste Liebhaber? Na, da kennen Sie aber die Brasilianer nicht!"
"Die Portugiesen leben, lieben, essen, trinken, tanzen, beten so intensiv ? Das finden Sie erstaunlich? Das ist in Brasilien nicht erstaunlich. Das machen wir hier noch viel intensiver. Wenn wir lieben, dann lieben wir, wenn wir reden, dann reden wir…"

Da saß ich dann als Kulturaustauschbotschafterin mit meinem Caipirinha-Glas und meinen jederzeit zu überbietenden schriftstellerischen Aussagen und hielt mich an Zés schönem stillem Gesicht fest, am Anblick der bezaubernden jungen Damen gegenüber auf dem Sofa und an den Worten der neben mir sitzenden Zuhörerin, die mir sagte, dass  sie kürzlich erst in einer Dichterlesung von Günter Grass gewesen sei, der aber ziemlich langweilig vorlese im Vergleich zu mir.

"Höflich bis zur Unehrlichkeit".
Wie hatte ich das bei den Portugiesen bewundert! (Siehe Tagebuch S. 63)
Aber auch das schien man hier zu überbieten.

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