13. Thea

Verfasst am: 25. Juli 2003 von Barbara Keine Kommentare

An einem Abend folgten wir der Einladung einer Privatschule, an der Deutsch unterrichtet wird. Dieser "Baukurs" besteht seit 25 Jahren in Rio. Seit dem letzten Jahr befinden sich die Gruppen für Kinder, Jugendliche und Erwachsene in einer schönen alten Villa (uma casa muito charmosa) beim Botanischen Garten. Hier unterhält man auch eine Caféteria mit deutschen Spezialitäten, also Apfelstrudel mit Sahne, Weißwurst und Bockwurst werden da angeboten. Außerdem finden alternative  Kurse statt, wo Eltern und Kinder deutsche Weihnachtsplätzchen backen können, Marmelade nach Großmutters Art herstellen oder deutsche Geschichte und deutsche Geschichten kennen lernen.

Die Leitung dieses Baukurses liegt in der Hand einer jungen Frau namens Dorothea, und  ich assoziierte, als ich den Namen hörte:  Dorothea – Deutschland – blond und groß – Goethe -Friederike Brion in Seesenheim – Gartenlaube – Pfarrhaus – Apfelkuchen – Streuselkuchen – (Hat Goethe eigentlich auch eine Dorothea geliebt?) – "Es schlug mein Herz, geschwind zu Pferde…"

"Unser netter Konsul" konnte an diesem Abend nicht teilnehmen, hatte aber Alexander als seinen Vertreter mitgesandt. So konnten wir die schöne Geschichte über "unseren netten Konsul" in seiner Abwesenheit einmal ausgiebig zu Gehör bringen, diesmal konnte er die Lobeshymnen nicht verhindern.

In der verwunschenen Seitenstraße unter exotischen Bäumen befand sich das mit einem Eisengitter umzäunte Gebäude, unter dessen Eingang uns  spontan und herzlich Dorothea empfing. Ich hatte es wirklich geahnt: der junge Goethe in Straßburg – Pfarrhaus – Friederike – "der Abend wiegte schon die Erde" – wo bin ich hier mitten im südamerikanischen Rio eigentlich?

Im Foyer standen die Stühle bereit, im Seitenraum war ein Büffet für den anschließenden Imbiss aufgebaut, auf der Bar stand eine Ananasbowle als Begrüßungstrunk. Die Schüler und Lehrer strömten herbei, ich begann zu reden, und Dorothea ("Darf ich Barbara sagen, und sag du Thea zu mir."), also: Thea übersetzte spontan und temperamentvoll meine (bisweilen sehr vielen) Worte und (bisweilen Non-stop-Sätze) mit so viel Einfühlungsvermögen und begeisterter Anteilnahme, dass wir alle irgendwie euphorisiert wurden.
Vielleicht lag es auch daran, dass plötzlich so viel Gemeinsames entdeckt wurde: Vorfahren aus Pommern, Großeltern aus Stettin, Kindheit im Pfarrhaus, eine Pfarrfamilie, Kinder, Erinnerungen an Portugal… Die Welle der Euphorie trug uns fort, und ich holte Jakobs Seidentuch hervor, entfaltete es und entwickelte meine Lebensphilosophie von der Metamorphose des Menschen, der eines Tages aus seinem Kokon ausbricht, seine Flügel ausspannt und fliegen kann.

Alexander – schlank, blond, groß, deutsch, der Vertreter, (Wenn der Sohn so nett ist, wie muss dann erst der Vater sein, sagten die Augen der Zuhörerinnen.) – Alexander hielt das Tuch mit den leuchtenden Farben zur Anschauung hoch, und es war spürbar, wieviel Sympathie ihm entgegengebracht wurde.

Sie möchte sofort viel deutsche Literatur lesen, sagte eine junge Frau; eine andere, sie habe jetzt ganz viel Spaß bekommen, Deutsch zu lernen, und ein anderer, er wolle sofort neu motiviert mehr Bücher in deutscher Sprache lesen. So bedankten sich die Schüler am Ende. Und der junge Literatur-Lehrer, der sich gerade als Pfarrerssohn geoutet hatte, hielt sein Glas mit Ananasbowle in der Hand, lachte und sagte: "Es kommt mir heute abend vor wie Weihnachten."

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