Maiandacht

Verfasst am: 1. Juli 2003 von Barbara Keine Kommentare

Am Abend vor der Abreise waren wir bei der Marien-Prozession durch unser Dorf. Wir wanderten  über Blumen- und Kräuterteppiche durch die laue Mainacht, trugen Kerzen in den Händen, beteten und sangen andächtig Marienlieder.  Es ist wirklich erquickend, in der Reihe der Frauen und Männer mitzugehen und zu singen. Vor manchen Häusern stehen die Bewohner bei ihren geschmückten Altären, man umarmt und küsst sich, der eine oder andre schließt sich der Prozession an und wandert mit.                                  

Die portugiesischen Seefahrer haben vor ihrer Abreise immer an einem markanten Ort gebetet. Sie haben sich auch bei der glücklichen Heimkehr innigst bedankt. Auf der Felsenklippe von Nazaré teilen Gedenktafeln den staunenden Nachkommen mit, dass Vasco da Gama hier vor seiner Indienfahrt gebetet haben soll. Er kam nach erfolgreicher Reise ebenfalls nach Nazaré und sprach hier der Nossa Senhora seinen Dank aus. Steht alles auf den Erinnerungstafeln. Weshalb die frommen Portugiesen vor jeder Reise desselbigengleichen tun.

Das fiel mir bei der Maiandacht in der Maiennacht vor dem Flug nach Brasilien ein, während ich über Pfefferminze und Fenchel wandelte, umgeben von Rosenblättern und Kalmusduft. Eingehüllt in die Litanei und den Gesang des Padre, der im Lautsprecherwagen des Fussballclubs saß, die Texte sprach und die Lieder anstimmte. Vor mir die schwankende Muttergottesstatue, abwechselnd von den murmelnden und singenden Müttern und Großmüttern getragen.

Das stille Dorf im Wiesengrund, fernes Froschgequake, sanftes Mondlicht, die festlich erleuchteten Fenster, wartende Alte mit Kleinkindern auf den Treppen vor dem Haus. Alles im tiefsten Frieden. "Und aus den Wiesen steiget der weiße Nebel wunderbar…"

Und 24 Stunden später war Juni, und wir befanden uns in der riesigen quirligen heißen Stadt Rio, der "cidade maravilha" bei Nacht, fuhren vom Flughafen durch die Gegend mit übelriechenden Kläranlagen, schlängelten uns durch den brausenden, wahnsinnigen Verkehr, entdeckten Hinweisschilder mit den Namen COPACABANA, IPANEMA, LEBLON, JARDIM BOTANICO, fuhren an sternenübersäten Berghängen vorbei (die Favelas mit tausend elektrischen Lichtquellen),  immer wieder mit einem Blick auf den leuchtend angestrahlten Salvador oben auf dem Corcovado, der die ihm zu Füßen liegende Millionenstadt zu betrachten oder zu bewachen scheint und lauschten den Erklärungen …

Einen größeren Unterschied gibt es wohl kaum.
Aber vielleicht träume ich das ja auch nur.

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