AZOREN-TAGEBUCH    DIÁRIO AÇORIANO

  Barbara Seuffert © 2004

 

 

7.

7. Tag
S. Miguel

Das Programm versprach einen Ausflug in den "blühenden blumenreichen Nordosten" der Insel. Aus dem Nebeldunst schälte sich ein strahlender Julimorgen. Wir fuhren hoch durch die Berge nach Osten und konnten dann die liebliche Landschaft am Meer zu unseren Füßen sehen. Postkartenmotive und Katalogbilder, so wunderschön!

Da lag ein verlassenenes Kloster an landschaftlich schönster Stelle. Merkwürdig, dass auf den griechischen Inseln diese Einsiedeleien und Klöster doch immer (von mindestens einem orthodoxen Mönch) bewohnt und von schwarz gekleideten alten Weiblein betreut sind, die einem zahnlos lachend ein Glas Wasser und ein Stück Gelee anbieten, bevor man die alten Ikonen und die Aussicht bewundert. Diese weißen Kapellen Griechenlands auf den Inseln im Mittelmeer, unter den Olivenbäumen, so nah am blauen Himmel, so oregano-duftend, so voll Weihrauch und Ikonenfrömmigkeit.
Mir kamen die Azoren dagegen sehr säkularisiert vor: die palastähnlichen Klöster, die fast immer unten am Strand gebaut wurden, also bequem erreichbar, sind verlassen. Der Gedanke an Einsamkeit und Askese liegt irgendwie so fern. Diese spirituelle Welt ist untergegangen.

(Mag sein, dass wir Einsamkeit und Weltabgeschiedenheit des portugiesischen Klosterlebens, falls es das gibt, auch gar nicht so mitgekriegt haben, denn auf solchen organisierten Reisen bekommen wir ja doch immer nur das zu sehen, was die Reiseleitung uns anbietet, von dem sie meint, dass es interessiere.)

Sie meinte allerdings auf jeden Fall, uns interessieren Miradouros (Aussichtspunkte mit Meerblick oder gepflegte Parkanlagen), imposante Wasserfälle ("Cascatas"), Cafés mit speziellen Natas oder marzipanähnlichen "Barrigas da Freiras" (Nonnenbäuchlein), Likörfabriken und Souvenirläden. Die stürmten wir dann auch in jeder Ortschaft, wobei ich immer nur aufschrieb: "Vila Franca do - sonstwas, meistens - do Campo".

Wir kamen in einen verschlafenen, d.h. fast ausgestorbenen Küstenort namens Ribeira Quente, wo gerade die Festa do Chicharro, eine Art Sardinenfest, zu Ende gegangen war. Da hingen noch ein paar Jugendliche herum und die Camper am Straßenrand, die Straßenfeger und die Festzeltabbauer hatten zu tun, während die Bevölkerung zur Morgenmesse in die kühle Kirche gegangen war. Ein Erdrutsch soll hier vor kurzem 29 Menschen begraben haben. Von den hohen Bergwänden rauscht das Wasser herunter ins Meer.

Wir sollten nicht "Dorf" sagen, erklärte die Dona Reiseleiterin, denn hier auf den Dörfern sei das Wort aldeia diskriminierend. Also die kleinen Dörfer auf den Inseln möchten wenigstens einen großen Namen haben. Man sage hier Freguesia, was soviel wie "Gemeinde" bedeutet. Es gibt also vilars und freguesias, die nächstgrößeren Bezeichnungen sind cidades und concelhos. Ich merkte es mir und überlegte, wann wohl Carregosa nicht mehr aldeia sein möchte und auch als Freguesia bezeichnet werden muss, wodurch dann unweigerlich ein Krieg mit Ouca ausbricht und wir auf einander mit Schrotflinten und Kampfparolen losziehen werden.

Das Mittagessen nahmen wir in einem Nobelrestaurant hoch über dem Dorf - pardon, über der Freguesia - ein, ein umfunktioniertes Seminar, wie der Name schon sagt: "Estalagem dos Clérigos **** " Hier hatte sich ein Künstler mit Schmiedeeisen (oder eine ganze Schulwerkstatt des Schmiedekunsthandwerks ausgetobt, allerdings sehr stil- und geschmackvoll).

Auf der Rückfahrt durchs Paradies besuchten wir die Ananas-Plantagen in Fajã Baixa, wo unter Glasdächern in mehreren Wachsstumsphasen die Ananas ( im Gegensatz zu Abacaxis, den wildwachsenden Früchten ohne Säure) zu sehen sind. Zu den Gewächshäusern, in denen es so feucht-warm ist, dass einem die Brille beschlägt, gehört auch ein Laden mit Öko-Artikeln und Ananas-Likör (Marke "Sodbrennen", ich hatte gedacht, man stellt diesen Likör statt aus Zucker oder Glukose aus Ananas her, haha!).

Am Nachmittag wogte das Fest des Heiligen Geistes in der sonnenheißen Flanierstraße von Ponta Delgada. Alle Gemeindemitglieder in Festgewändern, die jungen Mädchen und Frauen in langen Abendkleidern mit Stöckelschuhen, gingen würdig und gemessen in endlosem Zug hinter den Musikkapellen her und trugen kostbare Kronen und viele Blumen. Immer wieder das Taubensymbol und viel Goldschmuck und roter Samt.

Unser Bus blieb also vor dem Kloster "Convento da Esperança" stehen, in denen fromme Nonnen die Statue (eigentlich nur eine Büste) des wundertätigen Herrn, des "Senhor Santo Cristo dos Milagres" verehren und schmücken und einmal am Sonntag der Öffentlichkeit preisgeben. In Glasvitrinen werden die gold- und perlenbestickten Umhänge des Heilands ausgestellt, die von schier unschätzbarem Wert sind. Alles echtes Gold und echte Perlen. Beim Anblick schwinden dir die Sinne. Ich würde so gerne wissen, welche Wunder der Heilige Herr Christ schon getan hat. Die blauen Azulejos in der Kirche sind überaus schön bemalt und stellen das Leben Jesu dar , sowie liebliche Blümchen.

Der säbelbeinige Opa im Abenteuerlook und seine Frau, immer noch mit Lila Strickjacke, Handtasche und Lackpantöffelchen, gehen in keine Kirche, denn er ist Zeuge Jehovas. Das nur mal so als Randbemerkung.

Der Abend bescherte uns dann den absoluten Höhepunkt dieser Reise, nämlich das große Fisch- und Meeresfrüchte-Souper in Ponta Delgada, in einem Dorf nahe dem Flughafen Diese MARISCADA DA DESPEDIDA war angesagt als ein "unvergesslicher Abend" mit Gitarrenmusik und Fadogesängen. Nach herrlichen Vorspeisen gab es Napfmuscheln in Knoblauchsud, Miesmuscheln in Knoblauchtunke, danach Krebse (riesige Bärenkrebse) und Garnelen bis zum Abwinken. Und als Schlußpunkt noch eine kräftige Suppe und eine Scheibe Ananas und einen Mokka.

Die Leute aus Porto durften dann noch 2 Stündchen ruhen, sie bekamen morgens um 4 Uhr ihr Frühstück auf dem Zimmer serviert und flogen schon mal heim, während die Lissabonner noch den ganzen Vormittag ausruhen konnten. Das war meine Rettung, denn ich war nun endgültig richtig sterbenskrank mit Lebensmittelvergiftung und Hitzeblattern. In dieser Verfassung wurde mein Brustbeutel (das Wort ist fast so schön wie "Kulturbeutel") mit Personalausweis und mit unserem ganzen Geld (für Notfälle) gestohlen, und mein Vertrauen in die lieben Portugiesen und die friedlichen Paradieses-Inseln der Azoren kam mir ebenfalls abhanden. Mir fiel ständig der Knirps ein, der sich nach einem Schulausflug durch den Nymphenburger Park vor Helga aufgebaut und gesagt hatte: "Frau Professor, das war ein Scheißausflug!"

Hella holte uns in Lissabon ab.

Nach 5 Tagen kam das Leben wieder zurück.
Ich betrachte die Fotos und finde die Azoren traumhaft schön, das Essen "muito boa", das Wetter "muito bom", und überhaupt das Leben wunderschön, einfach "muito boa".

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