AZOREN-TAGEBUCH    DIÁRIO AÇORIANO

  Barbara Seuffert © 2004

 

 

6.

6. Tag
Auf S. Miguel

"Ihr seid Familie Ör nescht!" Sie wollte sich schieflachen. Vor dem Aufstehen telefonierte Katharina mit uns. Sie hatte leider nicht durchwählen können und deshalb bei der Rezeption nach ihren lieben Eltern gefragt. Die schworen: Sie haben keine Deutschen im Hotel. Und bei der portugiesischen Gruppe sei der Unaussprechliche auch nicht dabei. Es gebe nur eine Familie Örnescht. "Na, dann stellen Sie mich mal bitte durch!"

Die Luftfeuchtigkeit an diesem Morgen war kaum erträglich, der Ozean verdampfte in der Sonne. Die fröhlich-beschwingte Reiseleiterin Amaral holte uns ab und fuhr mit uns in die Berge. An blauen Winden, rotem Hibiskus, Hortensien und grünen Weiden hinauf zu einer Höhe, von wo aus man einen herrlichen Bergsee wie den Königsee im Kessel drunten schimmern sieht, dahinter gibt ein Bergeinschnitt den Blick aufs blaue Meer frei. Kleine Gänseblümchen am Weg sollen nach Auskunft des Pflanzenbuches Astern sein. Die Reisenden sagen alle, es sei ihnen zu kalt, "muito frio", sie fahren lieber weiter.
Die größere Stadt heißt Ribeira Grande und wird von einem Flüsschen durchquert. Die Herde wird in den Laden "Mulher da Capote" getrieben, um quietschsüße Liköre und Souvenirs zu kaufen. Wir wandern durch den Park mit uralten bärtigen Medrocedros-Bäumen zur Igreja Matriz hinauf, ein weißer Prachtbau mit den typischen schwarzen Dekorationen. Im Inneren schmückt eine Frau den Altar mit Katzenminze.

Bei der Weiterfahrt kommen wir durch ein Teeanbaugebiet, wie ich es mir in Indien vorstellte, wenn Ingrid Kaußler mir davon erzählte. Nur pflücken hier nicht schöne Inderinnen in ihren Saris die zarten Blättchen, sondern eine Mähmaschine schert die Reihen kurz ab und bringt die Blätter in die Teefabrik zum Trocknen. In der "Gorreana" - Teefirma wird uns nach einem langen Vortrag, bei dem der abenteuerlustige Opa auswitscht und schon mal auf die Suche nach der Probierstube geht, köstlicher Tee ausgeschenkt. Alle stürzen sich auf den "Grünen Tee", weil der ja so gut bei Cholesterol-Abbau wirkt. Ein Paket mit 100g kostet 2,50 Euro, später in den Läden der Insel kostet er 4,50. Diese Tasse Tee erinnerte an den herrlichen Tee, den uns die Berber am Sinai in Konservenbüchsen damals gekocht hatten und überreichten. Diese Wüstensöhne waren plötzlich mit ihren Kamelen aus dem Nichts aufgetaucht, hatten ein Feuerchen gemacht, den Tee gebrüht und mit reichlich Zucker und einem strahlenden Lächeln angeboten. Auf der Blechbüchse stand "Baked red beans", und der Tee schmeckte köstlicher als Earl Grey. Es war der beste Tee meines Lebens. Und es war genau an der Stelle, wo Elia von den Raben gespeist wurde. Seitdem glaube ich fest an diese Geschichte am Fuße des Mosebergs.

Wir kommen nach Furnus. Und jetzt kommt die für mich interessanteste Attraktion der Azoren, denn in Furnus ist der Vulkan noch aktiv wie auf Island. Kenne ich zwar nur von Filmen und von der Erzählungen, aber ich bin völlig begeistert.
Die Erde ist so heiß, dass man Löcher graben, seine Suppentöpfe hineinstellen und das Essen in der Erde gar kochen kann. Überall sind so kleine Hügel zu sehen, unter denen ein Mittagessen gegart wird, während die Hausfrauen und Väter sich ein Mittagsschläfchen gönnen. Es ist zutreffend, dass die Portugiesen hier "nichts anbrennen lassen". Mit langen Eisenstangen werden die Töpfe wieder herausgehoben und in die heimische Küche oder die Hotels gebracht. Es riecht ein bisschen nach Schwefel, und "der Boden brennt einem unter den Füßen". Sicher ist in einem der riesigen Kessel unser Mittagessen.
Wir gehen ins Restaurant und schmausen. Das Hauptgericht ist wirklich vulkan-gekochte Cozida à Portuguesa: Kohl, Kartoffeln und Möhren mit Hühnerfleisch, Rindfleisch, Schweinefleisch, Blut- und Knoblauchwürsten (ohne Zusatz und Wasser) im eigenen Saft geschmort. Die Leute essen und essen... Zum Nachtisch gibt es eine dicke Scheibe Ananas aus eigenem Anbau.

Danach wankt man durch den Park dieses Kurhotels mit Thermalbad und heißen Quellen. Das Schwimmbassin ist mit ganz warmen Wasser gefüllt, in dem die Badegäste herumstehen, die Pflanzen und Bäume der Anlage strotzen vor Energie. Der Ort heißt Terra Nostra.

D. Conceição erzählt uns über jeden Baum und jede Blume voller Freude etwas Bemerkenswertes. Beim Ginkgo bleibt sie stehen und erklärt, dass es in Deutschland einen Dichter gibt, der das Blatt dieses Baumes als Symbol für die Liebe beschrieben hat, es war der große Dichter GOTE, und ich darf das Gedicht aufsagen, damit alle wissen, dass nicht nur die schwarzweißen Kühe der Azoren aus Deutschland stammen, sondern auch wertvolle Literatur hier Anerkennung findet.

Goethe, September 1815

Ginkgo Biloba (Gote schrieb allerdings Gingo)

Dieses Baums Blatt, der von Osten
Meinem Garten anvertraut,
Gibt geheimen Sinn zu kosten,
Wie´s den Wissenden erbaut.

Ist es ein lebendig Wesen,
Das sich in sich selbst getrennt?
Sind es zwei, die sich erlesen,
Dass man sie als eines kennt?

Solche Frage zu erwidern,
Fand ich wohl den rechten Sinn;
Fühlst du nicht an meinen Liedern,
Dass ich eins und doppelt bin?

Wir kommen auch zu einer Stelle, wo viele muntere Kochbrunnen sprudeln. Es ist heiß, das Wetter, die Luft, der Erdboden, auf dem wir stehen, es zischt und dampft, es riecht nach Schwefel und gekochten Eiern. Die Frauen hängen Säcke mit Maiskolben ins kochende wasser und verkaufen die Maiskolben am Straßenrand, und - es ist nicht zu glauben! - alle kaufen und knabbern Maiskolben. Hier stehen viele neu gebaute schmucke Häuschen, die aber kein bisschen azorentypisch sind, sondern auch In Mecklenburger Neubausiedlungen anzutreffen sind. "Ist es nicht gefährlich, hier zu bauen, wo die Erde kocht?" Nein, sagten sie, dies ist hier die sicherste Stelle auf den Azoren, denn hier atmet der Vulkan. Schlimm ist es, wenn alles ruhig zu sein scheint, aber unter der Oberfläche gärt und brodelt es, bis es zu einer verheerenden Eruption kommt. Wie in der Pubertät, genau. "Lass es raus!" sagen die Soziologen, die solche Vulkanausbrüche kennen.

Dieser Ausflug endet vor den Toren der Stadt Ponta Delgada, weil der Bus wegen der großen Heilig-Geist-Prozession nicht weiterfahren kann. Viele Trachtengruppen, Musikkapellen und Motivwagen (das sind bunt geschmückte zweirädrige Ochsenkarren) bilden einen langen Zug durch die Hauptstraße am Hafen. Alle sind auf den Beinen. Uns wird immerzu Wein, Saft, Coca, Brot und Kuchen angeboten. Auf einigen Wagen liegen die Spenden für die Armen: wagenradgroße Kuchen und Brote, Gebäck und Weißbrot und Eierkuchen. Die Trachtengruppen tanzen in der Sonnenglut.

Nach dem üppigen 4-Gänge-Abendessen und Wein in Strömen gibt es ein Glas Sekt und ein Stück von der gehaltvollen Schokoladen-Geburtstagstorte, denn die nette Dona Graciete hat Geburtstag, umarmt und küsst alle.

Dann schlendert man die ganze Nacht auf der Hafenpromenade entlang, auf der 3 große Bühnen für das Publikum aufgebaut sind. Lautstark unterhalten die Sänger die Zuhörer. Auf der einen singt eine Trachtengruppe, auf der anderen eine Irmandade in kardinalroten Umhängen und mit Kardinalshüten zu eigenartigen Instrumenten, auf der dritten singen zwei Fadistas im Wechselgesang. Wir hören 1/2 Stunde zu: sie werden einfach nicht müde und heiser, sie singen und singen, der eine eine Strofe, der andere eine Strofe, immer nach derselben Melodie, sie singen in der Nacht vor unserem Hotel, bis wir schon längst schlafen.

Fortsetzung folgt

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