AZOREN-TAGEBUCH | DIÁRIO AÇORIANO | ||||
Barbara Seuffert © 2004 |
|||||
|
|||||
1.
Wenn wir eine Reise machen wollen, sind vorher immer gewaltige Planungen
nötig, weil wir jemand suchen, der auf den Hund aufpasst, (nicht
etwa dieser auf andere). Ich meine mit aufpassen: füttern und ausführen
und ein wenig Zuwendung, weil das ja ein "Menschenhund" ist. Montag, der 5. Juli, war der "Morgen danach", der Morgen nach der Niederlage der Portugiesen im Fußballfinale gegen die Griechen. Das war sicher unser Glück, denn sonst hätten wir bestimmt auch die ganze Nacht durch gefeiert und wären gar nicht durch die Menschenmenge und auf den verstopften Wegen vorangekommen. So standen nur auf den Raststätten ein paar Autos mit schlafenden Fans herum, manche Flagge war auch schon eingezogen worden. Die Begeisterung war ziemlich abgeebbt im größten Fußball - Stadium Europas, " Stadium", wohlgemerkt. Die "Kicker"-Zeitungen hatten an diesem Morgen große Fotos von Ronaldos tränenblanken Augen und Überschriften wie "Weine nicht, Kleiner!" Der Lissabonner Aeroporto quoll aus allen Nähten. Die blauweißen Hellenen wurden tolerant und verständnisvoll verabschiedet, alle fuhren und flogen nach Hause, und wir hatten uns eingebildet, auf die Azoren fliegen wir ganz allein mit so einem kleinen Inselhopper... Haha, der erste Irrtum! Irgendwie schien ganz Portugal mit diesem Jumbojet auf die Azoren zu wollen. Die Portugiesen reisen kaum noch ins Ausland, hatte eine Statistik verkündet. Also reisen sie in ihrem eigenen Land herum, und deswegen wohl auch in Massen auf die Azoren. Der Flug dauerte 2 Stunden, 1.400 km westlich, "schon fast" in Amerika, die Uhr wurde 1 Stunde zurückgestellt. Wir (sonst immer) Individualreisenden dachten, wir müssen uns bei der Ankunft in Ponta Delgada/São Miguel um die Koffer kümmern, und standen lange am Fließband herum, bis uns einfiel, die Koffer könnten ja schon weitergeleitet sein nach Terceira, wohin wir heute Abend noch weiterfliegen würden. Die Gruppe mit Dona Graça Ribeiro wartete schon oder noch an der Absperrung. Dona G. hat eine Porzellanpuppengesicht und wirkt wie eine Schweizerin. Der erste Eindruck auch von der Insel war ebenfalls derselbe: Sind wir hier in der Schweiz? Alles sauber und aufgeräumt, schön klein karierte aufgeräumte Weideflächen und schwarzweiße Milchkühe darauf. "Hier liegt kein lixo und kein nada herum", erklärte die Reiseleiterin. Tja, es fiel allen auf. Eine wunderschöne grüne Insel mitten im Ozean, grüne Wiesen, Wälder mit Japan-Zedern und immer wieder blaue Hortensien, die Dolden und die Tellerhortensien. Der Reisebus mit 45 staunenden Portugiesen aus Porto und Lisboa schaukelte über die westliche hügelige Hälfte der Insel São Miguel nach Sete Cidades und dem Blauen und Grünen See. Der grüne See ist allerdings weiß, denn die grünen Algen blühen gerade. Immer wieder darf man aussteigen und fotografieren, ein verlassenes Hotel auf dem Berg, ein tiefer Märchensee im Krater der vulkanischen Berge, weidende Kühe und blaue Hortensien, blaue Hecken, in denen dicke rosa Bauernröschen blühen, Wiesen, Wiesen und runde Vulkanberge mit einer Rechenkästchenstruktur aus Hortensienhecken, Rilkes "Verwaschene Kinderschürzen" Rainer Maria Rilke So wie das letzte Grün in Farbentiegeln Sie spiegeln es verweint und ungenau, Verwaschnes wie an einer Kinderschürze, Doch plötzlich scheint das Blau sich zu verneuen Ein altes Ehepaar, 80 oder älter, er dick und gemütlich, blaue
Mütze, grün gestreiftes T-Shirt, braun gebrannt, krumme Säbelbeine
- sie, skurril-senil mit wirren grauen Haaren, in Hosen und Strickjacke,
barfuß in Lackpantöffelchen und mit Handtasche überm Arm,
trippelt immer hinter ihm her. Auf den Wiesen 10-20 Kühe und meistens 1 Pferd dabei. Dona G. erzählt
von Milchwirtschaft, Molkereien, großen Käsefabriken, von
Milchproduktion und Fettgehalt der Milch, der vom Maisfüttern kommt. 17.45 Uhr sind wir wieder auf dem Flughafen und fliegen nach Terceira.
30 Minuten Flug. Dort wartet ein Vier-Sterne-Hotel auf uns und ein gepflegtes
Abendessen. Terceira sieht genauso aus wie São Miguel, grüne Rechenkästchen-Wiesen mit Hortensienhecken. Wir waschen uns die Hände und werden in den Speisesaal geführt, edle Gläser und Damastservietten und ein 4-Gänge-Menü vom feinsten. Und der Blick aufs Meer. An unserem Tisch diniert ein älteres Ehepaar aus Vigo und Paris, sie sprechen französisch und spanisch und verstehen kaum portugiesisch. Er war Spanischlehrer, kann sogar etwas deutsch: "In München steht ein Hofbräuhaus...", sie war Französischlehrerin. Meine hochgespannten Erwartungen werden ziemlich schnell enttäuscht und zerfallen zu Staub und Asche, auch als Monsieur sich als Protestant outet und anstimmt: "Ein feste Burg ist unser Gott..." Am Abend standen wir auf dem Balkon, eine laue Sommernacht, ich kann
es nicht fassen, dass die Welt so schön ist und wir das alles sehen
dürfen. Fortsetzung folgt |
|||||